2018
Krippenfund
Zuruf im Januar 2018
Großwerden im Kleinwerden,
sich frei machen und überlassen,
an Seiner Hand gehen
und aus Seiner Hand leben.
Und auf diesem Weg einfach bleiben,
wie ein sich bergendes Kind.
Im Weiter zuhaus
Zuruf im Februar 2018
Steine suchen
die ich vor mir her werfen kann
dass sie eine Furt stiften
über die Brüche und Verwerfungen
Ich wachte auf
Zuruf im März 2018
Ich wachte auf
und rieb mir die winterlichen Augen.
Ich stand auf
und ging nach dem Frühling schauen.
Eine Frau aus der Nachbarschaft
Zuruf im April 2018
Eine Frau aus der Nachbarschaft:
Meine Schwester hat Probleme.
Sie wollte, dass ich ihr zuhöre.
Zuhören dauert mir zu lange.
Da habe ich ihr gesagt:
„Du bist doch eine von uns.
Damit wirst du schon alleine fertig.“
Dann bin ich schnell weitergegangen.
Kirschblüte Kindheit
Zuruf im Mai 2018
Ich fühle meine Wehmut aus dieser Zeit,
als ich weinend unter dem Blütenschnein stand
und versuchte, mit meinen kleinen Händen,
das weiche Weiß zu retten.
Lichtung Stillefeld
Zuruf im Juni 2018
Wir brauchen Stillezonen
in denen das Bisher unseres Lebens
für eine Weile verstummen kann
dann gewährt das Alte den Raum
dass das Neue in uns Ton geben kann
Wir brauchen Orte der Stille
die uns Muße in den Gang streuen
die uns Tiefe im Fühlen und Denken öffnen
die uns Fluss in die Erinnerungsströme stiften
Klangraum für ein Gloria
Zuruf im Juli 2018
Das Dunkel ist durchlässig geworden
Dann bleib
bleib stehen
überlass dich dem Geströme
von Klang und von Licht
Es tönt auf in dir
es erfüllt dich
es weitet dich
es nimmt dich mit
habe wieder Teil am Strom großer Freude
werde ein Vertikal der Verehrung
des Lebens
Berg Schwebe
Zuruf im August 2018
Ruhend wie eine Kuppe aus feinstem Perlmutt
auf einer Schale aus Nebel und Licht,
so getragen, so unstörbar-unerschütterlich;
emporgehoben vom Licht, emporgehoben zum Licht,
mit all seiner Blumenpracht dort oben.
Über eine sommerliche Atemlänge hin hält sie ihre Fruchtbarkeit
mit weit offenen Blüten empfangend in den hohen Himmel,
schließt ihn auf in der rasch vorübergehenden Schmelze
zwischen Eis und Eis, bleibend zwischen Winter und Winter.
Stille Speicher
Zuruf im September 2018
Schweige. Halte inne. Lass den Wind sprechen.
Lausche. Vernimm das Rauschen. Bleib stehen.
Und lass dein Sehen wandern, weit.
Geh mit dem Fluss, der durch die Kronen zieht. Lass dich treiben.
Trau dich, nicht lesbar zu sein, eingeschrieben wie in Wasser:
Ein schwebender Ton, frei klingend in Raum.
Rot Malen
Zuruf im Oktober 2018
Blut, Glut, Wein, Rosen.
Fühlen und Denken mit den Säften des Lebens,
mit all dem, was strömt im Lebendigen,
mit dem ganzen Leib, der wahrnimmt,
der denkt und sinnt, der liebt,
mit all dem Reichtum aus der Kraft zu leiden und mit zu leiden,
aus all der Tiefe, sich über sein Leben zu freuen,
mit all dem unerschöpflich Möglichen dazwischen
und darumherum.
KRANICHE
Zuruf im November 2018
Sie bringen sich in die Höhe, kreisen und kreisen.
Gemeinsam finden sie die Richtung Süden.
Dann treiben sie ihren Keil ins Fremde hinein
und darüber hinaus ins vertraut Warme.
Dort haben sie Jahr für Jahr ihre Winterheimat auf Zeit.
Ihre flügelreiche Klangform am Himmel nach vorne spitz,
nach hinten weit offen sammelt ein: Durch Rufe gefestigt,
die uns hier unten mit Fernweh nach der Seele greifen.
Großwerden im Kleinwerden
Zuruf im Dezember 2018
Großwerden im Kleinwerden,
sich frei machen, sich überlassen,
an Seiner Hand gehen, aus Seiner Hand leben.
Und auf diesem Weg einfach nur bleiben,
unbeschwert weitergehen, wie ein Kind,
das sich geborgen fühlt.