2015

Im Atelier

Zuruf im Januar 2015

Ein Mann sagt zu einem Maler:

„Ich habe vor einem Jahr bei Ihnen ein großes Stille-Bild erworben.
Seit einigen Monaten gibt es mir keine Ruhe und keine Erholung mehr.“

Der Maler: „Das Bild schweigt?“

Der Mann: „Ja. Dabei habe ich viel Geld dafür bezahlt,
damit es mir hilft, meine schwere Arbeit zu ertragen.“

Der Maler: „Und nun liefert das Bild nicht mehr?“

Der Mann: „Genau. Das Bild macht einen schlechten Job.
Es liefert mir nicht, was ich von ihm brauche.“

Der Maler: „Und was wollen Sie jetzt von mir?“

Der Mann: „Ich will das Bild gegen ein besseres eintauschen.“

Der Maler: „Ausgeschlossen! Ich bin doch kein Gebrauchtwarenhändler!“

Der Mann: „Ich nehme gerne ein teuereres Bild. Dann machen Sie
sogar noch einen kleinen Verdienst dabei.“

Der Maler: „Ausgeschlossen sage ich! Ich tausche niemals Bilder um.
Genau genommen ist es ein riskantes Unternehmen, ein geistiges Wesen
wie ein Bild in fremde Hände zu geben. Das ist nun geschehen.
Sie tragen jetzt die Verantwortung dafür. Es ist Ihre Aufgabe,
so mit ihm umzugehen, dass es wieder mit Ihnen sprechen will.“

Im Atelier

Zuruf im Februar 2015

Fragen an einen Maler:

Warum lachen Künstler auf Fotos so selten ?

Kann man ein Bild guten Gewissens über einem roten Wohnzimmersofa aufhängen?

Wenn Ihnen ein Klecks passiert ist, sagen Sie dann einfach nur:
Das habe ich genau so gewollt?

Dürfen Bilder tröstend sein?

Ist es möglich, sich von einem Bild etwas vorsingen zu lassen?

Darf man vor einem Bild beten?

Wohnt Gott in Ihren Bildern?

Ist es erlaubt, sich mit meinem Lieblingsbild beerdigen zu lassen?

Wölfe

Zuruf im März 2015

Es gibt Worte der Verheißung,
die sind wie ein Rudel Wölfe.
Sie streichen um den Baum herum,
auf dem du in Sicherheit bist.

Weide dich an ihrer wilden Schönheit,
an ihrer ursprünglichen Eleganz,
an ihrer untrüglichen Witterung wohin.

Folgst du aber deiner Sehnsucht, mit ihnen zu ziehen,
kommst du darin um.

Es gibt Worte der Verheißung

Zuruf im April 2015

Es gibt Worte der Verheißung,
die sind wie eine lichtvolle, weite Landschaft,
in die du wie hineingeboren bist.

Du kannst dich voll Vertrauen hineinlegen.

Sie spricht dir Wärme ohne Hitze zu.
Sie spendet dir lauschige Orte
und Schatten, wo es rieselt und rauscht
den ganzen Tag hindurch.

Sie spricht zu dir:

Du bist gut.
Du bist richtig.
Du darfst glücklich und lebendig sein.
Du bist gut darin aufgehoben, so wie du bist.

Sie ist wie eine Glückhaut:
Du trägst sie mit dir wie einen luftigen Schutz.

Sie ist dir Lichtsaat und Lichtraum zugleich.

Patient

Zuruf im Mai 2015

Auch
in deinem Unglück
bleibst du
eine vertikale Linie

zitternd
wie verbeult
wie einzweimal
von einem Radiergummi
durchkreuzt

dahinter fühlbar
deine senkrechte Stille
im Lot der Würde

Im Atelier

Zuruf im Juni 2015

Eine junge Frau schreibt an einen Maler:

Vor langer Zeit habe ich bei Ihnen ein Bild für meine Kunstsammlung gekauft.
Bei meinen anderen Bildern wollte es sich nicht einpassen.
So hängte ich es in die Diehle für sich allein, zwischen Bad und Küche.

Seitdem begrüßt es mich immer freundlich, wenn ich nach Hause komme. Verlasse ich mein Haus, winkt es vertraut hinter mir her.

Und es kam immer häufiger vor, dass ich das Bedürfnis hatte, frische Blumen unter das Bild zu stellen, oft rote Rosen.

Mal stimmt es mich wehmütig, mal traurig, meist fühle ich mich von ihm
getröstet.

So vergingen fast fünf Jahre. Ich ahnte allmählich: Es ist weit mehr als ein
Kunstobjekt für mich, es ist wie eine gute Freundin.

Als sich im vergangenen Sommer wieder der Todestag meiner Schwester jährte,
fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Als Jugendliche schwammen wir
zu weit hinaus.

Ich wurde gerettet. Meine Schwester gab das Meer nicht mehr her.

Das Bild ist mir ein guter Ort für meine Trauer geworden.
Mein Schmerz vagabundiert nun nicht mehr so viel umher.
Gut, dass ich all die Jahre – unbemerkt – über das Bild Trost und Annahme
erfahren habe. Wer weiß, was ich sonst mit dem Bild gemacht hätte, wäre
mir das früher aufgegangen…

Das wollte ich Ihnen mitteilen. Ich möchte, dass Sie das als Maler meines Bildes wissen.

Arnica montana (Bergwohlverleih)

Zuruf im Juli 2015

Dein üppiges Sonnig
der melancholische Sprung
in deinem Strahlenkranz

er pulst
über deine Leiblichkeit
mir warm entgegen
so nur zu finden bei dir

dein ins indische Gelb
verhangene Leuchten
die große Kraft
im Andrang deiner Knospen

Alles ist so großzügig an dir
dir gleicht keine Andere hier

Komm mit zu uns

Zuruf im August 2015

Komm mit zu uns
sagte er
bei uns kannst du dich an Gott vergolden

Mir genügt das Gelb des Löwenzahns
entgegnete sie ihm
und ging ihren eigenen Weg weiter

Autobiographische Architekturen

Zuruf im September 2015

Das Kleinbäuerliche in den Garten
Das Franziskanische in ein einfaches Leben
Die Liebe zu den Menschen
Das Schöpferische in die Kunst

Und das Kontemplative schenkt sich dieser Vierung als
Speicher der Stille

Im Atelier

Zuruf im Oktober 2015

Eine alte Frau sagte leise (fast in sich hineinmurmelnd):

Ich gehöre zu den Kriegskindern.

Zuoft haben die Räume gewechselt, meist zu schnell.
Ihr Hintereinander geht einem dann verloren,
auch das Gefühl für Heimat.

Allmählich hat sich ein Binnenraum in mir ausgebildet.
Hier bin ich manchmal zuhause.

Wenn ich Ihre Bilder betrachte, antwortet mir oft ein ähnliches Echo,
eine Ahnung von Verwandtschaft, so etwas wie:
Hier kannst du ruhig Vertrauen haben.

Je länger ich schaue, steigt in mir eine Gewißheit von Ankommen auf,
als wenn ich im Bildraum einwurzeln könnte.
Mir wird mehr und mehr klar: Zuhause ist weniger ein Raum,
eher das Klima einer antwortenden Umgebung,

eine palliative Tröstung.

Impression

Zuruf im November 2015

Die Oktobersonne
so tief
du kannst in die Ferne
nicht schauen

Gegenlicht vor der Winterzeit

Würze explodiert
in deinem Riechen

kilometerweit

Wanderatelier

Zuruf im Dezember 2015

Pssst
flüstert Wind durch das vollkommene Rund
der Pusteblumen
und schickt ihre Flugsaat auf die Reise
neues Leben weiterzutragen

Und lautlos tanzen die Federleichten in der Luft

Ihre hochfliegenden Schirme
werden von einem Samenkorn in Erdnähe
gehalten

Es senkt sich bald ein in die Ruhe der Erde

sucht hier Ankunft in der Ummantelung
seines möglichen Fruchtbarseins