2017
Wanderatelier
Zuruf im Januar 2017
Die Finsternis im Fichtenwald
öffnet sich an ihrer kahlen Stelle
als ein Lichtkeil im Morgennebel.
Irgendwo dahinten
stößt ein Vogel metallene Töne aus.
Sie klingen dürr wie Zwei-Euro-Münzen,
aus großer Höhe fallen gelassen
in eine Spardose, die schon gut gefüllt.
Der Morgenhimmel ufert tief im Fichtendunkel,
als würde er hier entspringen und
sich als gleißendes Licht ergießen
in das ganze Firmament
Ich bin nicht mehr vor der Landschaft,
fühle mich eher als Teil von ihr,
schon ganz eingesogen.
Psalm
Zuruf im Februar 2017
Du hast entschieden, mich zu retten,
hast meine Not gewendet in Heil.
Meine Angst kann ich fahren lassen
und dem Leuchten in meinen Schritten
traue ich Tag für Tag mehr.
Du bist bei mir,
wenn ich schwach bin,
wenn ich krank, verzweifelt,
wenn ich am Boden.
Du segnest mich
und schenkst mir Ruhe
in Deinen Armen.
Buchraum Mesopotamien
Zuruf im März 2017
Aus der Tiefe der Menschwerdung
wandert es schon immer auf mich zu
das offenbarende Wort,
eingehüllt von schriftlichen Formen und Wendungen,
in Geschichten, Gedicht, Gebot, Psalmgebet
als seine Knochen und Gelenke;
sie tragen es durch die Länge der Zeit.
Durch all dies hindurch
spricht es gegenwärtig zu mir,
in mein atmendes Leben,
macht mich hörend,
gibt mir wegweisenden Ton,
hebt mich in die hohe Zeit der Betrachtung,
ist mir gegenüber und an die Seite geschenkt,
schließt mich an
an ein uraltes Strömen und Leuchten.
Wanderatelier
Zuruf im April 2017
Unter laublosen alten Eichen
finde ich früh im Frühjahr
das seltene blaue Leberblümchen
mit seinen gutmütig dreilappigen Blätterhänden
Von einer solchen Einfachheit
trostreich und wunderschön
kann die Antwort über die Schöpfung sein
auf unsere drängenden Bitten und
unsere komplizierten Fragen
The Poetry is in the pity.
Wilfred Owen, 1918
Zuruf im Mai 2017
Es gibt eine Poesie
die liegt im Leid
Sie geht mit dir
in die Angst
in die Verzweiflung
in die Verlorenheit
in das Sterben
Sie ist die Vertikale
die dir bleibt
auch wenn du am Boden liegst
Sie ist dir zugesprochen
als ein palliativer Trost
als ein kleines bergendes Zelt
für die schweren Nächte deines Lebens
Morgens in der Frühe
Zuruf im Juni 2017
Morgens in der Frühe
lege ich mich in ein Boot ohne Ruder
und lasse mich treiben
auf einem Ozean voller Verheißungen
in dem tiefen Vertrauen
nicht unterzugehen
und geführt zu werden
an grasgrüne Küsten
Auf dem Rücken liegend
schaue ich in die große Weite des Himmels
und überlasse mich dem Empfangen
Wanderatelier
Zuruf im Juli 2017
Irland
Zwischen grünen Hügeln
ruht hier eine sanfte Stille
Sie scheint seit langem
auf dich zu warten
Und immer wieder
Zuruf im August 2017
Und immer wieder
bedarf es einer Stille, die ihre Saatkörner in meine Zeit wirft,
bedarf es eines Sehens, das mein Denken umbricht
mit der Pflugschar empfangender Sinnlichkeit.