Senkrechter Gesang (2024)

Frühlingsläufer Buchcover
„Ich suche hier nach Worten und Bildern, durchsichtig zum Licht hin, mit Reichweite ins Blaue. Auch das Summen eines Liedes, das mit einem geht, das Mut schenkt auf eigenen Wegen.“
(G. Mevissen)
46 neue Zurufe aus den Jahren 2021 bis 2024 haben sich im aktuellen Buch auf 112 Seiten versammelt.
Sie entstammen dem Grundelement Mevissens kreativen Handelns, das die gesamte Zeitspanne seiner schöpferischen Sinnsuche zusammenhält: Das Senkrechte, das Vertikale in seinem elementar zarten Beginn, die grüne Lunte im Keimling.

Gerhard Mevissen
ISBN 978-3-00-078969-4
112 Seiten, farbig,
17 x 24cm, Softcover,
€ 28,00

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Gerhard Mevissen – Senkrechter Gesang

Eine Buchbesprechung von Thomas Menges im Literaturmagazin „Eulenfisch“

Was ist ein „Senkrechter Gesang“? Mit fortschreitender Lektüre wird deutlich, dass dieses Oxymoron „den gesamten Buchkörper“ durchzieht: Es bindet die Horizontale mit der Vertikalen zusammen; beide Dimensionen begegnen dem Verfasser im „Gesang der Vögel“ und in den „Blütenklängen der Blumen“ (7). Damit sind Fauna und Flora als wesentliche Themen der 46 Texte benannt.

Wegen der Zeilensprünge lässt sich von Gedichten sprechen, zutreffender scheint mir die allgemeinere Bezeichnung „poetische Miniaturen“, die ohne Reim auskommen. In ruhiger, behutsamer Sprache betrachtet der 1956 geborene, auf den Eifelhöhen bei Monschau lebende Gerhard Mevissen Phänomene der Natur. Nirgends wird die Natur zum Objekt menschlichen Verfügens, vielmehr wird sie zum Anlass einer nach innen gewendeten Betrachtung: Die Quelle im Wald weitet sich in ihrem Verlauf zu einem Fluss, der ins Meer mündet (89); die Stille lässt sich „wie eine Handvoll Wasser / aus einer Quelle“ trinken (67). Der Herbst ist eine Zeit der Reife: Auf der Streuobstwiese bleiben die heruntergefallenen Früchte als „liegengelassene Geschenke“ zurück (66) und das farbige Ahornblatt ist besonders schön, bevor es herabfällt (90). In der Natur zeigt sich ebenfalls, was unser gesamtes Leben eintrübt: eine lebenslange Traurigkeit über die Sterblichkeit, die aber nicht das letzte Wort behält, denn „da gibt es auch / die Lichtzelte der Liebe / und der Freundschaft, / der Poesie und des Spirituellen / als Geschenk.“ (70) Und erst im Winter geben die entlaubten Bäume die Vogelnester frei: „die Horte des Fruchtbarwerdens, / des Brütens und Hütens.“ (43).

Mit religiösem Blick lässt sich diese Naturpoesie als natürliche Theologie lesen. Doch kommt das Wort Gott nicht einmal in den vier als „Psalm“ bezeichneten Texten vor, sehr wohl aber ein angesprochenes „Du“, dessen „Gegenwart / … / vor den Unwettern des Nichts“ zu beschützen vermag (47).

Die gesellschaftliche Wirklichkeit wird nicht ausgespart: Asyl und Gewalt werden thematisiert; der Verfasser wird Zeuge, wie die Kraft, aber nicht die Freude eines „Alte(n) Straßenmusikant(en)“ schwindet (103), und setzt einem skurrilen Dorfbewohner, der die Kriegsschäden auf seinem Hof nie beseitigen ließ, ein berührendes Epitaph aus Worten (61).
Der „Buchkörper“ insgesamt offenbart, dass Gerhard Mevissen in erster Linie ein bildender Künstler ist. Seine poetischen Texte „stehen“ vor vielfarbigen Bildausschnitten, dazwischen sind 17 doppelseitige Werke der letzten Jahre aus fortlaufenden Zyklen eingefügt. Es handelt sich dabei um abstrakte, zarte und in sich gemusterte Aquarellbilder, die, wie ihre Schichtung belegt, über einen längeren Zeitraum hinweg entstanden sind. Dieses sorgfältig gestaltete Buch erfreut das Auge und den Verstand. (Näheres findet sich auf der Internetseite www.gerhard-mevissen.de.)

Die zusammengestellten Texte und Bilder sind nicht auf Knopfdruck entstanden. Sie setzen eine kontemplative Gestimmtheit voraus, um, so der Künstler, „empfänglich zu werden, / für all das, was gerade ungerufen / einkehren möchte bei mir, / ohne Mühe zu machen“ (101). Wir Leser und Betrachter können daran teilhaben – wenn wir uns die Zeit nehmen, den übermächtigen Alltag zu unterbrechen, um zu uns selbst zu kommen.

Erstellt von Thomas Menges, Limburg